[Text anläßlich der Ausstellung "Die Wirklichkeit ist anders." mit Johannes Nawrath im GEA-Center, Bochum]

"Freunde, vergeßt nie diese goldene Regel: nichts kann schaden in der Kunst, solange ihr frech seid."
(Whistler)

Die Trauben des Zeuxis, die die Vögel narrten, das Selbstbildnis Dürers, das von seinem Hund freudig angebellt wurde oder die "bewegte" Aphroditestatue des mythischen Künstlers Daidalos: Glaubt man dem, was Künstleranekdoten seit der Antike nicht müde werden zu wiederholen, dann bestand das Können des Künstlers darin, Kunstwerke zu schaffen, die die Natur so lebensecht wie nur möglich nachahmten. Eine Aufgabenstellung - das zeigte bereits die platonische Position, von der sich die Kunst bis zum heutigen Tag noch nicht richtig erholt hat, - mit großen Widerhaken. Denn die mimetische Kunst konnte selbst im optimalen Fall nicht mehr als nur den trügerischen Schein des "wahren" Lebens bieten. Gegenüber Philosophie und Wissenschaft wurde sie so zu einem Dasein als untergeordnete Fingerübung verurteilt. Von marginalisierenden Einschätzungen wie diesen - durch die Jahrhunderte philosophisch zementiert - blieb der Kunst zunächst nur die Flucht in die Abstraktion.

Mit ihrer Kunst nimmt Rona Rangsch diesen, seit Jahren ängstlich neben dem Spielfeld liegengelassenen Ball wieder auf. Aber das Spiel wird von ihr nicht einfach nur wiederholt. Mit Rona Rangsch geht es sofort in die nächste argumentative Runde. Plastikschläuche in poppigem Neongrün oder leuchtendem Pink. Die Materialien, die die Künstlerin verwendet, wirken weder in ihrer Farbigkeit noch in ihrer Konsistenz natürlich, und sie sind es auch nicht. Und dennoch: Die durch und durch künstlich gestaltete Welt von Rona Rangsch atmet Leben.
Neongrün leuchtend lädt ein "Kunstrasen" aus dünnen Schlauchsegmenten zum Gedankenspaziergang ein. Langarmige Schläuche gleiten schlangenartig oder krakenarmig über einen Fußgängerweg hinweg, hinein ins rettende Naß des danebenliegenden Flusses ("kanalebendig"). Und die pinkfarben schillernden Schlauchstückchen, die sich solipsistisch und höchst selbstgenügsam in den eigenen Schwanz beißen, rufen Erinnerungen an Tauchgänge zwischen Seeigeln und -anemonen wach.

Die Formen und Strukturen in Rona Rangschs Arbeiten überzeugen nicht nur als modellhafter Nachbau bereits existierender Lebensformen, sondern vor allem als neu geschaffene Kunstobjekte. Indem die Künstlerin das Konstruieren selbst zum grundlegenden Prinzip ihrer Kunst erhebt, erklärt sie den Gegensatz zwischen Nachahmen und Neuschaffen für nichtig und hebelt so gleich auch noch geschickt die Trennung der Kategorien Natur und Kunst aus. Für sie ist die Wirklichkeit nicht eine Konstruktion, die sie in ihrer Kunst ab- oder nachbildet. Für sie ist der Akt des Konstruierens, des Strukturenbildens mit all seinen mal technischen, mal sozialen Mechanismen die Wirklichkeit, in der wir leben und in der auch sie mit ihrer Kunst zuhause ist.

Daß die Arbeiten Rona Rangschs, indem sie nahtlos struktursuchende Modelle der naturwissenschaftlichen Forschung in strukturbildende Mechanismen der Kunst wandeln, zugleich auch noch mit dem Vorurteil aufräumen, daß Kunst als Gegensatz zu Wissenschaft zu sehen ist, ist das gewagte aber überzeugende Argument von Seiten dieser Kunst, daß die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Kunst nicht mehr, aber auch nicht weniger ist als eine vielleicht doch nicht so zwingende Konstruktion.

[Anja Marrack, Göttingen im Juli 2003]

Kern der Ausstellung: Installation "Dead or alive?"

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